Geduld

Geduld fördert – und erfordert – Toleranz und Nachsicht gegenüber den unvermeidlichen Schwächen, die ein Mensch nun mal hat – egal, ob es sich dabei um Dich selbst oder andere handelt.

Denn oft laufen die Dinge überhaupt nicht so, wie wir uns das wünschen – der Wecker, der den Geist auf gibt, weshalb Du verschläfst; der Stau auf dem Weg zur Arbeit; die Unzuverlässigkeit mancher Kollegen und Mitarbeiter; der PC, der sich zum x-ten Mal aufhängt; Termine, die sich unmöglich einhalten lassen – es gibt so viel Dinge, die uns das Leben schwer zu machen scheinen und unsere Frustrationstoleranz arg strapazieren.

Wenn wir uns jedoch von vorneherein klar machen, dass die Dinge nun mal nicht immer nach unserer Vorstellung laufen und dass andere Menschen eben anders sind, als wir das gerne hätten, dann hilft uns das sehr im Entwickeln von Geduld. Und wenn wir dann auch noch uns selbst gegenüber etwas geduldiger werden und uns weniger antreiben, sei es bei der Arbeit oder in anderen Dingen, dann könnte sich unser künftiges Leben sehr angenehm gestalten 🙂

Wenn es mal gar nicht weitergeht, dann lass Dich inspirieren von dem, was Rainer Maria Rilke einem jungen Dichter mit auf den Weg gab:

„… und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.“

Übung 8 – Schritt für Schritt

Die nachfolgenden Übungen unterstützen Dich in der Fähigkeit, geduldig und ohne Hast eins nach dem anderen zu tun. Auf diese Weise entwickelst Du zunehmend mehr Geduld, Beharrlichkeit und kraftvolle Präsenz:

1. Erstelle eine Liste mit allen Dingen, die Dich gerade beschäftigen bzw. mit denen Du Dich gerade beschäftigst – notiere alle unabgeschlossenen Projekte, Vorhaben etc., und dann ordne sie nach Prioritäten. Entscheide, was Du wann zu Ende bringen willst und was Du möglicherweise sofort beendest, weil es Dich nicht mehr interessiert.

Erstelle nun für alle Projekte, die Du weiter verfolgen und zu einem erfolgreichen Abschluss bringen möchtest, Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Sehr hilfreich dabei ist die Vorstellung, Du würdest jemand anderem, der keine Ahnung von der Sache hat, detailliert erklären, was er zu tun hat, um das Ding zuende zu bringen.

Entschließe Dich, Deine Anleitungen genau zu befolgen und Schritt für Schritt abzuhaken. Wenn Du zwischendurch bemerkst, dass Du bestimmte Schritte auslassen, überspringen oder zusammenfassen kannst, dann ändere Deine Anleitung dementsprechend.

Nimm Dir auch vor, jeden einzelnen Schritt so achtsam und aufmerksam wie möglich zu gehen. (Siehe dazu auch die ergänzende Übung „Werde leicht und klar“)

2. Führe – übungshalber – für 5 Minuten Deine gegenwärtige Tätigkeit ganz bewusst im Zeitlupentempo durch.

3. Gehe im Schneckentempo durch den Raum und achte dabei darauf, wie Du Deine Füße auf den Boden aufsetzt. Du kannst das auch, wenn Du Lust hast, zu einem längeren Spaziergang ausdehnen 🙂

4. Kommt es manchmal vor, dass Du das Gefühl hast, zu viel um die Ohren zu haben? Die folgenden drei Fragen kannst Du Dir immer dann stellen, wenn Du entscheiden mußt, ob und wie etwas erledigt werden muss:

  • Was geschieht, wenn ich es nicht jetzt erledige?
  • Was geschieht, wenn nicht ich es erledige?
  • Was geschieht, wenn es gar nicht erledigt wird?

 

„Wie ist es, wenn man das Tao spürt? Es ist ein müheloses Fließen, ein mitreißender Schwung. Es gleicht dem Gesang eines Vogels, der sich über eine weite Landschaft erhebt und ausbreitet. Du kannst das in deinem Leben spüren: die Ereignisse werden in perfektem Schwung und prächtigem Rhythmus ablaufen. Du wirst in einen Zustand so vollkommener Gnade eintreten, dass es in dir über der Landschaft der Wirklichkeit wie ein flüchtiges Vogellied klingt. Wenn sich dir das Tao auf solche Weise offenbart, dann folge seinem Fluß, so gut du kannst. Störe es nicht, halte es nicht an. Versuche nicht, es zu steuern! Lass es fließen und folge ihm!“ (Deng Ming Dao)

 

Übung 9 – Es dauert immer länger, als du denkst

Eine alte tibetische Weisheit sagt: „Wende dich niemals ab, wenn du einem Hindernis begegnest. Entwaffne es durch Geduld und Freude.“

Lass Dich von den folgenden Tipps und Übungen dabei unterstützen, noch mehr Geduld in Deinem Leben zu entwickeln:

1. Geduld zu entwickeln bezieht sich natürlich auch auf den Umgang mit dir selbst – und mit anderen. Wie oft im Alltag treibst Du Dich – unnötigerweise – an, nur um schneller mit etwas fertig zu werden oder schneller an einen bestimmten Ort zu gelangen?

Achte ganz bewusst darauf, und wenn Du diesen inneren Antreiber das nächste Mal bemerkst, dann entscheide dich ganz bewusst, ihm NICHT nachzugeben. Stattdessen hole erst einmal tief Luft, und dann denke darüber nach, was Du als nächstes tun willst. Und dann triff eine Entscheidung.

Wir verwechseln oft im Alltag Impulsivität mit Spontaneität. Erstere läßt uns vorübergehend lebendiger fühlen und verursacht aber unnötig Stress, wohingegen echte Spontaneität sehr viel mit integrierten Erfahrungen zu tun hat – und dies bedeutet, viel und oft bewusst zu entscheiden.

2. Achte auch darauf, wie oft im Alltag Du andere Menschen zur Eile antreibst bzw. ihnen ungeduldig begegnest. Nicht nur, dass es ziemlich unhöflich ist, es verhindert auch echte Begegnungen. Daher versuche, anderen so oft wie möglich geduldig zu begegnen – es wird Deine Beziehungen und Deine Lebensqualität nachhaltig verbessern.

3. Wenn mal wieder alles viel zu langsam geht und Du es furchtbar eilig hast, dann halte inne, atme ein paar Mal tief durch und überlege Dir, wie Du das Ganze rückwirkend in zehn Jahren betrachten wirst. Versetze Dich im Geiste zehn Jahre voraus und schaue auf die momentane Situation zurück.

4. Wenn Du gewohnheitsmäßig ungehalten u./o. ungeduldig auf bestimmte Menschen und Ereignisse reagierst, mache Dir folgendes zur Gewohnheit:

  • Sage zu Dir selbst: „STOP! Warte einen Augenblick. Denke noch einmal über das Ganze nach.“
  • Und dann tue es! Warte einen Augenblick und denke von verschiedenen Standpunkten aus über die Sache nach, die Dich zu der Reaktion veranlasst hat.

5. Und der Standard-Tipp für alle Lebenslagen – Achtsamkeit. Komme immer und immer wieder mit Deiner Aufmerksamkeit in den gegenwärtigen Augenblick.

 

„Es ist eine harte, aber lohnenswerte Schule. Ich habe gelernt, dass Geduld mehr ist als eine Tugend, dass sie eine völlig andere Wahrnehmung von Zeit bewirkt. Die Zeit spult sich nicht mehr linear ab und droht mir davonzulaufen, sondern ist eine ewigwährende Gegenwart, ein Strom, der mich trägt.“ (Piero Ferrucci)

 

„Vor langer Zeit kam ein junger Schüler zu einem Meister des Schwertkampfes, um diese alte Kunst zu erlernen. Voller Ungeduld stürmte er auf den alten Mann zu: „Meister“, sagte er, „wenn ich fleißig lerne – wie lange werde ich brauchen, um die Kunst des Schwertkampfs zu erlernen?“ „Vielleicht zehn Jahre“, antwortete der Meister. „Und wenn ich außergewöhnlich hart arbeite? Wie lange werde ich dann brauchen?“ „Wahrscheinlich dreißig Jahre.“ Der Schüler war verdutzt. „Ich bin bereit, alles zu tun, jede Mühe auf mich zu nehmen und jedes Opfer zu bringen“, sagte er. „Ich möchte die Kunst in der kürzest möglichen Zeit erlernen.“ „In diesem Fall“, so der Meister, „wird es wahrscheinlich siebzig Jahre dauern.“ (Aus dem Zen)

 

Übung 10 – Erwarte das Unerwartete

Oftmals stecken wir fest in eingefahrenen Muster und starren Routinen und tun uns schwer damit, flexibel und gelassen mit Veränderung umzugehen. Denn oft genug läuft es nicht so reibungslos, wie wir es uns wünschen – das Leben, insbesondere im Arbeitsalltag, aber auch in unseren Beziehungen, wartet immer wieder mit Überraschungen auf, und das meistens dann, wenn wir es gar nicht gebrauchen können. Nur zu gerne gewöhnen wir uns an bestimmte Dinge und gaukeln uns damit eine gewisse Sicherheit vor, und wir möchten, dass alles so bleibt, wie es ist. Doch damit schaffen wir uns eine Menge Stress und Unzufriedenheit und begrenzen uns in unseren Möglichkeiten. Und reagieren äußerst ungehalten, wenn es eben nicht nach unserer Nase läuft.

Die folgenden Übungen unterstützen Dich dabei, mehr Geduld, Flexibilität und heitere Gelassenheit zu entwickeln:

1. Nimm Dir einen Augenblick Zeit und erinnere Dich an eine Situation oder Angelegenheit, bei der so ziemlich alles schief gegangen ist, was nur schief gehen konnte; eine Situation, bei der alles anders kam, als Du es geplant bzw. erwartet hast.

Beantworte die folgenden Fragen schriftlich:

  • Was hattest Du Dir vorgenommen?
  • Was ist alles anders gekommen?
  • Wie hast Du darauf reagiert?
  • Notiere mind. 10 Möglichkeiten, wie Du hättest anders reagieren können.

 

2. Nimm eines Deiner gegenwärtig aktuellen Projekte/Ziele/Vorhaben und überlege Dir (bitte wieder schriftlich) 10 – 20 Möglichkeiten, was alles anders kommen könnte als geplant.

Überlege Dir auch zu jedem Punkt mind. 3 Möglichkeiten, wie Du darauf reagieren könntest.

Hinweis:
Hier geht es natürlich nicht darum, Schwarzmalerei zu betreiben und das Schlimmste zu befürchten, sondern vielmehr darum, Geduld zu entwickeln und Deinen Handlungsspielraum zu erweitern. Bewahre eine spielerische Haltung.

 

3. Wenn mal wieder etwas völlig daneben geht, dann betrachte es als eine wertvolle Lerngelegenheit, um Geduld zu üben.

Sehr hilfreich ist es auch, einen umfassenderen Standpunkt einzunehmen (z.B. mit einer der Übungen zur emotionalen Ausgeglichenheit, die Du in Folge 16 kennengelernt hast)

 

„Vielleicht ist Geduld eher eine deiner kleineren Stärken, doch es lohnt sich, sie zu entwickeln, denn Geduld ist eine der wesentlichen Eigenschaften für einen friedvollen Geist.“

„Übe dich auch und gerade dann in Geduld und Gelassenheit, wenn deine äußere Umgebung verwirrend und unsicher ist. Denn einem friedlichen Geist kann dies nicht aus der Ruhe bringen.“

„Betrachte die Nervensägen und Querköpfe in deinem Leben als Lehrer. Ja, wirklich! Denn wie sonst wolltest du so wertvolle Eigenschaften wie Mitgefühl, Toleranz und Geduld üben, wenn es da nicht diese ganz besonderen Menschen gäbe, die dir immer wieder die Gelegenheit zum Üben geben“

– aus den Zenpower-Tipps